Autismus
Ausgangssituation
Dieses Anwendungsbeispiel bezieht sich auf die autistische Entwicklungsstörung und erörtert den neuronale Netze Ansatz von Gustafsson und Paplinski (2004), der einen tieferen Einblick in diese tiefgreifende Entwicklungsstörung ermöglichen soll.
Der Film Rain Man
Der Film Rain Man aus dem Jahr 1988 handelt von dem Autisten Raymond, gespielt von Dustin Hoffman. Während einer Reise durch die USA zeigt sich, welche Schwierigkeiten Raymond, der zuvor in einer Klinik lebte, tagtäglich bereitet. So besteht er beispielsweise auf das Ansehen bestimmter, täglich ausgestrahlter Fernsehsendungen sowie der absolut pünktlichen Einnahme seiner ausgewählten Mahlzeiten, da die Reise Raymond aufgrund des ungewohnten Tagesablaufs und der ständig wechselnden Umgebung ansonsten zu überfordern scheint. Neben diesen Schwierigkeiten werden aber auch die besonderen Fähigkeiten des Autisten dargestellt, der sich beispielsweise in kürzester Zeit umfangreiche Informationsbestände, wie Telefonbücher aneignen oder in Sekundenbruchteilen große Zahlen miteinander multiplizieren kann.
Autismus
Nicht alle Autisten wie Raymond in Rain Man besitzen derart außergewöhnliche Fähigkeiten in einem eng umgrenzten Bereich wie dem Behalten von ganzen Telefonbüchern oder dem blitzartigen "Berechnen" großer Zahlen. Derartige extreme Inselbegabungen (auch Savant-Syndrom genannt) sind sogar äußerst selten anzutreffen (derzeit weltweit etwa 100 bekannte Personen, während Autismus deutlich höher, nämlich bei 0.05% der Geburten auftritt). Wenn sie jedoch auftreten, dann geht diese Begabung häufig mit einer autistischen Entwicklungsstörung einher. So leiden schätzungsweise 50% der Savants auch unter Autismus. Trotz der herausragenden Fähigkeiten besitzen Savants ebenso wie Autisten einen IQ-Wert, der zumeist unter 70 Punkten liegt (bei Autisten etwa 80%). Eine allgemein anerkannte Erklärung des Phänomens der Inselbegabung existiert bis heute nicht.
Autismus stellt nach den gängigen Klassifikationssystemen für Krankheiten bzw. psychischen Störungen (DSM-IV) und dem Internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten in der zehnten Revision (ICD-10) eine tiefgreifende Entwicklungsstörung dar, mit folgenden Symptomen:
- Extrem autistische Einsamkeit
- Kommunikationsdefizite
- Zwanghafte und rituelle Handlungen
Bezüglich der Ursachen für Autismus existieren verschiedene, z.T. kontrovers diskutierte Ansätze (Davison et al., 2007; Gustafsson und Paplinski, 2004). Einigkeit herrscht darüber, dass Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen eine wichtige Rolle bei der autistischen Entwicklungsstörung spielen. Ungeklärt ist jedoch, ob derartige Defizite nur bei sozialen und/oder neuen Reizen in Erscheinung treten. Bezüglich der Vermeidung neuer Reize hatte bereits Leo Kanner (1943) bei der Darstellung von elf, unter Autismus leidenden Kindern auf eine geradezu zwanghafte Beharrlichkeit, vertraute Reize aufzusuchen, hingewiesen.
Neben Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen wurde auch postuliert, dass sogenannte Merkmalskarten im Kortex (cortical feature maps) autistischer Patienten unfähig zur Erstellung abstrakter Codes und Repräsentationen von Objekten und Ereignissen seien (Gustafsson und Paplinski, 2004). Merkmalskarten repräsentieren bestimmte grundlegende und nutzbare Eigenschaften von Objekten, z.B. Farbe, Orientierung, Größe oder Entfernung. In Abhängigkeit dieser Objekteigenschaften sind die verschiedenen Merkmalskarten in unterschiedlichen Hirnarealen lokalisiert (siehe z.B. Kandel et al., 1995; Treisman, 1988). Die Simulation solcher kortikaler Merkmalskarten kann mit Hilfe von Kohonennetzen erfolgen. Im vorliegenden Beispiel untersuchen Gustafsson und Paplinski (2004), wie Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen und Bevorzugung von vertrauten gegenüber neuen Reizen bei Autisten die adäquate Ausbildung der kortikalen Merkmalskarten (in den Simulationen in Form von Kohonennetzen realisiert) behindern können